Welt am Sonntag (2/2012)So klingt Kuba im RuhrgebietIn der Karibik hat Addys Mercedes Singen gelernt. Nun lebt sie in Essen, hat eine neue Platte produziert und startet eine Tournee. Wenn nur dieses Wetter nicht wäre Kann es größere Unterschiede geben als den zwischen Kuba und dem Ruhrgebiet, zwischen Havanna und Essen? Wohl kaum, und doch verbindet die beiden Regionen etwas. Man spürt das sofort, wenn man in Essen in einem alten Zechenhaus steht und die Klänge hört, die dort entstehen. Da ist eine charmante Geige zu hören; da krächzen auch mal Rockgitarren, aber vor allem ist da eine betörende Stimme, die sich über eindeutig karibische Rhythmik legt. So klingt Kuba im Ruhrgebiet. Zu verdanken ist das einer Frau, die schon vor einiger Zeit ihre Heimatadresse gewechselt hat und es wohl immer wieder tun wird. Derzeit aber wohnt Addys Mercedes in Essen. Man kann die kubanische Sängerin kennen, wenn man im vergangeneo Jahr WDR 2 gehört hat. Da lief ihr Lied „Sabado Roto“ eine Zeit lang erstaunlich oft. So oft, dass es am Jahresende für einen vorderen Platz in den Jahrescharts langte. Gerne hatten sich die Hörer einfangen lassen von dieser rhythmisch im besten Sinne bewegenden Klage über die ganz speziellen klimatischen Verhältnisse zwischen Rhein und Ruhr. Für Addys Mercedes war die Geschichte vom verdorbenen Samstag auch ein bisschen die ganz persönliche Verarbeitung.eines Kulturschocks. „Ich war enttäuscht, weil das Wetter am Wochenende, wenn ich tanzen gehen wollte, nicht gepasst hat. In Kuba ist immer gutes Wetter“, berichtet sie. Das Wetter war ihr bereits ein Dom im Auge, als sie 1993 nach Gelsenkirchen kam. Vorher hatte sie in einem kubanischen Touristenzentrum für die Urlauber gespielt und so ihre bettelarme Familie unterstützen können, aber dann führten verschlungene Wege sie nach Deutschland. Dort war zwar das Wetter schlecht, aber dann gab es auch wieder Umstände, die ihr bekannt vorkamen. „Ich komme aus einem Industriedorf, da war der Wechsel nicht so schlimm“, sagt sie. Zwei Nickelfabriken überschatteten das Leben jenseits des Ozeans, da muteten die Verhältnis im Ruhrgebiet beinahe schon paradiesisch an. Rasch lernte Addys Deutsch und gründete eine Band, mit der sie auf Tournee ging. Schnell waren da mal 200 Konzerte im Jahr zusammen. Gleichzeitig bereitete sie ihre erste Platte vor, die 2001 erschien. ,,Mundo Nuevo“ hieß die und verschaffte ihr einen veritablen Ruf nicht nur in der Weltmusikszene. Auch der damals noch auf Musik spezialisierte Sender Viva nahm sich ihrer Lieder an. War das erste Album noch eindeutig ihrer Heimat gewidmet, so schlichen sich schon auf das zweite, das 2003 erschien, immer mehr europäische Einflüsse. Zwischendrin war sie nach Düsseldorf gezogen, was indes wenig zur Sache tat, weil sie ohnehin selten daheim war. Durch ganz Europa führten ihre Tourneen. Sie spielte auf vielen Festivals, und einmal stand sie gar auf derselben Bühne wie Ex-Beatle Ringo Starr und Gitarrenheld Eric Clapton. Doch dann siegte vorübergehend das Heimweh. „Ich habe mich in Deutschland oft sehr allein gefühlt. Da hat nur die Musik geholfen“, sagt sie heute und führt dann noch ein für eine Kubanerin wichtiges Argument in die Debatte ein. „Ich habe die Sonne so vermisst.“ Mit ihrer Tochter reiste sie länger nach Kuba, und als sie zurückkam, stand ihre innere Kompassnadel auf Süden. Addys zog nach Teneriffa und genoss dort vor allem die leicht kubanisch angehauchte Mentalität der Menschen. Natürlich spielte auch die Sonne eine Rolle. Es lebt sich halt leichter, wenn man morgens von blauem Himmel begrüßt wird. Trotzdem erschöpfte sich der kanarische Reiz irgendwann. „Wenn man die Insel erst einmal kennt, hat man nicht mehr das Gefühl, dass man noch etwas entdecken kann“, berichtet sie. Zudem wollte ihre Tochter unbedingt Geige lernen, und die beste Geigenlehrerin, die sie finden konnten, fanden sie in Essen. „Für uns ist es egal, wo wir wohnen. Das, was wir machen, können wir überall machen“, sagt die Sängerin. Und sie hat etwas gemacht. Gerade ist ihre dritte, nur mit ihrem Namen betitelte CD erschienen, und mit der unternimmt sie erneut einen Anlauf, die starren Grenzen zu durchbrechen, die manchmal das musikallsche Verstandnis verhindern. So oft schon musste sie gegen klassische Klischees ankämpfen. Etwa gegen die Einstellungen der Programmmacher bei manchen Radiosendern. Die sagen doch allen Ernstes: Spanische Lieder spielen wir erst, wenn die Sonne wieder scheint. Und dann ist da noch ihr Aussehen. „Bei mir erwarten die Leute immer die fröhliche Mulattin aus Kuba, die ,Guantanamera‘ spielt“, sagt sie. Da ist sie schon besser gelaunt, wenn sie mit Gloria Estefan verglichen wird, obwohl sie so viel mit der Kubanerin, die schon als Kind in die USA zog, nicht verbindet. Addys Mercedes schiebt die Pauschalierung auf die mangelnde musikalische Bildung der Menschen. „Wenn sie aus der kubanischen Welt stammten, kämen sie nicht drauf, mich mit Gloria zu vergleichen. Aber wenn sie nur Gloria kennen, was sollen sie dann sagen?“ In der Tat verbindet die Popmillionärin nicht viel mit der Kubanerin aus Essen. Die hat nämlich sehr deutlich ihre Pflöcke in der europäischen Musik eingeschlagen. Natürlich ist immer noch unverkennbar, woher sie kommt, aber es ist gerade der Stil-Mix, der ihre Lieder so reizvoll macht. Nach wie vor verarbeitet Addys Mercedes, die ungern über ihr Alter spricht und sich freut, wenn man Mitte 30 sagt, ihr Leben. Neben dem schon erwähnten „Sabado Roto“ erzählt auch die neue Single „Hollywood“ von ihr. „Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden, aber der Traum war zu groß“, sagt sie, aber sie seufzt nicht. Es ist gut wie es ist, signalisiert sie. Und so ist es. Ende Februar startet sie in Nürnberg ihre große Deutschland-Tournee. Auf der will sie ihre neuen Lieder und natürlich auch ihre alten Hits vorstellen. Auch ihre mittlerweile elfjährige Tochter Lia wird mit auf der Bühne stehen. Sie darf mitreisen, weil die Mutter Schulunterricht über Skype organisiert hat. Lehrer und Schülerin sehen sich dann nur auf dem Computerbildschirm. „Lia spielt dann die Lieder, mit denen sie aufgewachsen ist“, sagt Addys Mercedes. Sie weiß eben, dass Musik mehr sein kann als nur Klang. „Wenn ich Musik höre, fühle ich mich sicher“, sagt sie. Und sicher ist sie immer dort, wo sie spielt. Addys greift dabei auf ihre Erfahrungen zurück. ,,Mein Vater hat die ganzen Lieder vom Buena Vista Social Club schon auf der Gitarre gespielt“, sagt sie. Das hat ihr den Weg zur Musik geöffnet. Aber irgendwann kam dann das Radio, kam der Pop nach Kuba. ,,Mich hat die Musik dieser anderen Welt sehr neugierig gemacht“, sagt sie. „Ich hatte kein richtiges Bild im Kopf, eher eine Fantasie.“ Davon hat sie sich leiten und führen lassen. Addys Mercedes treibt mit der Musik und landet dort, wo die Klänge sie hinführen. Zurzeit ist es eben Essen. ,,Mein kreatives Umfeld ist hier“, sagt sie und wirkt sehr klar, wenn sie die Welten einfach mal vermischt. „Ich habe im Ruhrgebiet meine Heimat, mein Kuba gefunden“, bekennt sie. Eine Weile wird sie bleiben. Wie lange? Das weiß allein die Musik. |